Anmerkungen zur Antwort 'einiger' Mitglieder von 'Rote Laterne', ATTAC und FAU-IAA zur Rede der Antifa Bonn/Rhein Sieg am 1.5.2002 zu Palästina

A. Holberg

Wir sind zwar nicht die expressis verbis Kritisierten, und die 'Antwort einiger Mitglieder ...' wurde uns auch nicht von den Autoren zugesandt. Angesichts dessen jedoch, dass es sich hier keineswegs um eine interne Auseinandersetzung irgendwelcher lokaler Grüppchen handelt, sondern dass hier sozusagen das Schicksal der bundesdeutschen 'Linken' und deshalb im Weiteren gewissermaßen auch das der hier lebenden sich als Juden verstehender oder heute oder morgen von Antisemiten zu Juden erklärter Menschen verhandelt wird, erlauben wir uns, unaufgefordert in die Diskussion einzugreifen. Wir haben das bekanntlich in der Vergangenheit schon getan (s. 'KOVI-Dokumente' V/2000, VI/2001, VII2002). Deshalb wollen wir uns hier auf die Kritik eines Teils der 'Anmerkungen' beschränken. Wir stellen ausdrücklich fest, dass das nicht im Entferntesten bedeutet, dass wir andere Teile nicht u.U. viel heftiger kritisieren.

Zunächst werden wir an einigen Beispielen auf ein durchgängiges Charakteristikum des aktuellen 'linken' prozionistischen Diskurses hinweisen, die Unfähigkeit oder -- angesichts der sonst mitunter von seiner Trägern unter Beweis gestellten intellektuellen Fähigkeiten -- Unwilligkeit, Texte des politischen Gegners zunächst korrekt zu lesen und dann diese zu kritisieren und nicht einen selbst aufgebauten Popanz (vgl. dazu unsere textkritische Betrachtung eines Textes von Hermann Gremliza auf unserer Website.)

  1. Die Rede der Antifa betraf die Solidarität mit den vom zionistischen Staat national unterdrückten Palästinensern. Diese Unterdrückung ist eine Tatsache, auch wenn (teilweise als Antwort) Araber und andere (diese wohl eher aus generell antijüdischem Ressentiment) in Europa antijüdische Verbrechen begehen.
  2. Möllemanns Satz vom Recht auf militärische Gegenwehr auch in Israel sagt zu den 'Selbstmordattentaten' gegen Zivilisten nichts. Er könnte auch Angriffe auf militärische Einrichtungen oder wirtschaftliche Ziele und politische Zentren gemeint haben. Seine Aussage, Selbstmordattentate nicht gemeint zu haben, mag man glauben oder nicht. Wenn man seine erste Aussage nutzt, um ihm 'Antisemitismus' vorzuwerfen, dann ist das unredlich, solange man die Behauptung, er meine unschuldige Zivilisten, durch nichts belegt hat. Die Forderung, die Waffenlieferungen an Israel einzustellen, ist für sich genommen keine Aufforderung an den BRD-Imperialismus, sich dort stärker einzumischen, sondern im Gegenteil die Aufforderung, die bisherige faktische Unterstützung des israelischen Terrorismus gegen die Palästinenser und die arabische Welt zu beenden. Der Hinweis des Bonner Arbeitskreises für internationale Solidarität, dass die antipalästinensische Politik der BRD auch hier zu antijüdischen Untaten führen könne, verweist logischerweise keineswegs auf die israelische Politik, um diese Untaten zu rechtfertigen, sondern stellt nur eine bedauerliche Tatsache heraus, nämlich die, dass es Menschen (zumal angesichts ihrer unmittelbaren Betroffenheit verzweifelte arabische) gibt, die nicht zwischen Israel, Zionisten und Juden unterscheiden können. Für solche Menschen gibt etwa die offene Unterstützung der offiziellen Repräsentanten der Juden in Deutschland, der Führer des Zentralrates der Juden, für den Zionismus allgemein und den israelischen Staatsterrorismus insbesondere, in der Tat Argumentationshilfe für diese -- falsche -- Position. Die Tatsache, dass es grundsätzlich falsch ist, die Angehörigen einer nicht selbstgewählten Gruppe gleichzusetzen mit ideologischen Strömungen innerhalb dieser Gruppe (etwa dem Zionismus) oder einer von Mitgliedern dieser Gruppe gebildeten politischen Struktur (etwa dem Staat Israel), bedeutet leider nicht, dass das Verhalten von Teilen der Gruppe (etwa der jüdischen Religionsgemeinschaft, oder dem jüdischen Volk) keine Bedeutung für die Reaktion Gruppenfremder haben kann. Die unter den 'Antideutschen' vertretene These, dass der 'Antisemitismus' alleine ein ideologischen Konstrukt sei, das mit der Realität des jüdischen Seins in Europa nichts zu tun habe, ist zutiefst idealistisch. Der 'Antisemitismus' ist eine falsche Antwort auf die soziale Realität des europäischen Judentums seit dem Mittelalter. Die Juden tragen für ihn nicht die 'Verantwortung', aber es stimmt ebenso wenig, dass sie außer als Opfer und Projektionsfläche nichts mit ihm zu tun hätten.
  3. In Anbetracht dessen, dass in der Rede des AKs eben kein deutsches Eingreifen gefordert wird, ist die gewohnt hysterische Polemik in Hinblick auf die historische Verantwortung völlig verfehlt. Wahr ist hingegen, dass die prozionistische und zunehmend auch proimperialistische völkische ('antideutsch', 'pro-jüdisch’) 'Linke' die historische Verantwortung instrumentalisiert für eine -- wie verschämt auch immer daherkommende -- Unterstützung der Unterdrückung der Palästinenser.
  4. Der Begriff 'Vernichtungskrieg' ist vielleicht sachlich falsch, wenngleich man darauf hinweisen muss, dass Vernichtung nicht unbedingt physische Vernichtung bedeutet (im Dezember 2001 sagte immerhin der israelische Gesundheitsminister Nissim Dahan, dass die Assimilation für die Juden ein viel größeres Unglück sei als es der Holocaust gewesen sei). Der Vergleich zwischen Nazismus und Zionismus (wie er sich in Israel historisch manifestiert hat) ist ein Vergleich, der schon des öfteren auch von jüdischen Israelis gemacht wurde. Damit wird er natürlich nicht automatisch richtiger, aber eben auch nicht automatisch antijüdisch. Unseres Erachtens ist er nur in sofern zutreffend, als sich Nazionalsozialismus und die in der historischen Praxis vorherrschenden Formen des Zionismus eine Ideologie und Praxis teilen, die das Ergebnis des völkischen Nationalismus und der kolonialen Unterdrückung fremder Völker sind. Die Verbrechen des zionistischen Staates an den Palästinensern sind von der Art wie auch die Verbrechen anderer (speziell siedler-) kolonialistischen Mächte (z.B. Frankreich in Algerien, südafrikanisches Apartheidsystem, etc. etc.). Darin gleichen sie einem Teil der Verbrechen der Nazis.
  5. Die Kritik an antijüdischen Parolen auf antizionistischen Demonstrationen ist natürlich völlig berechtigt, kann aber keine der in Bonn am 1.Mai gehaltenen Reden betreffen. Die von den 'antideutschen' Prozionisten betriebene 'Argumentations'-Strategie des Amalgams nimmt wahrhaft Göbbel’sche oder Stalin’sche Züge an.
  6. Die Autoren der 'Anmerkungen' schreiben weiter: "Von dieser Unverschämtheit abgesehen, besitzen diese 'GenossInnen' auch noch die Frechheit, von einem 'Verschanzen' hinter der 'besonderen historischen Verantwortung’ zu sprechen und diese 'selbstgewählte Einschränkung' zu kritisieren. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Es gibt keine besondere historische Verantwortung (in der Rede steht sie daher auch in Anführungszeichen!); weg mit den Einschränkungen. Das ist nicht nur Antiimperialismus der allerplattesten Sorte; das ist der offene Aufruf zur Entsorgung der Vergangenheit und für ein militärisches Eingreifen gegen Israel." In der Tat ist unserem Verständnis nach die in der Rede kritisierte 'selbstgewählte Einschränkung', die der politischen Sachverwalter der Klasseninteressen, die Auschwitz zu verantworten hatten und die nach dem Krieg ihre sonstigen Verantwortlichkeiten, z.B. die des Mordes an unzähligen Kommunisten, an Homosexuellen oder an Zigeunern mit dem ostentativen 'mea culpa' gegenüber den jüdischen Opfern -- auf Kosten der Palästinenser -- weitestgehend aus der öffentlichen Diskussion verdrängt und entsorgt haben. Die offiziell prozionistische Haltung dieser Kräfte, kann von Linken moralisch und politisch nur als heuchlerisch abgelehnt werden. Was aber nun all jene anbelangt, die an den Verbrechen des Nazismus weder direkt noch indirekt beteiligt waren, so haben sie auch keinerlei besondere Verantwortung zu tragen, es sei denn die Verantwortung aller human Gesonnen und insbesondere natürlich aller Feinde der herrschenden Klasse, die den Holocaust ermöglicht oder gar ausgeführt hat, überall gegen Rassismus (auch in seiner besonderen Form des Antisemitismus), Unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen. Das beinhaltet, dass gegen den Rassismus, die Unterdrückung und Ausbeutung gekämpft werden muss, auch wenn die heutigen Täter einst selbst Opfer dieser Charakteristika der Klassengesellschaft waren.
  7. In der Tat wäre es die Aufgabe der Antifa, die sich die "Vernichtung der Wurzeln des Faschismus" auf die Fahnen geschrieben hat, den Antisemitismus zu bekämpfen. Die Kritiker haben selbst eindeutig anti-antisemitische Äußerungen sogar des in der Tat zu einer etwas unkritischen, auf jeden Fall unmarxistischen, Unterstützung des Befreiungsnationalismus neigenden AK Internationale Solidarität zitiert. Allerdings ist es die erste Aufgabe im Kampf gegen den Faschismus, den Imperialismus (die höchste und letzte Stufe des reaktionär gewordenen Kapitalismus) zu bekämpfen. Der Zionismus ist (bei allem, was er sonst noch sein mag) nicht nur Resultat des Imperialismus, sondern auch dessen Werkzeug in der arabischen Welt und dient nicht zuletzt dazu, die arabischen Völker im Stand der Unterwürfigkeit und des kulturellen Verfalls zu halten, was wiederum dumpfen Islamismus und Nationalismus und damit Antijudaismus fördert. Die 'Antideutschen' jedoch haben sich auf die Seite des 'demokratischen Imperialismus' und seines wichtigsten regionalen Kettenhundes, des zionistischen Siedlerkolonialismus in Israel, gestellt. Damit haben sie objektiv aufgehört, eine antifaschistische Kraft zu sei. Sie sind der linke Flügel des liberalen Bürgertums (in der Epoche des verfaulenden Kapitalismus) und sollten deshalb wenigstens darauf verzichten, Karl Marx in Anspruch zu nehmen.
  8. Die 'linken' Prozionisten in Deutschland werfen ihren Gegnern meist ohne den Schein eines Beleges vor, den Palästinakonflikt für ihren Antijudaismus zu instrumentalisieren. Mitunter kritisieren sie dabei keineswegs unberechtigt Tendenzen zur einfältigen Verherrlichung eines im Kern bürgerlichen Befreiungsnationalismus. Sie selbst jedoch instrumentalisieren den Holocaust, um den heutigen Opfern (den Palästinensern) der gestrigen Opfer (der Juden) ihre Solidarität zu verweigern. Sie stellen sich in dieser Frage auf die Seite der Unterdrücker. Indem sie sich damit auf die Seite der imperialistischen Verbündeten und Nutznießer des zionistischen Staates stellen, werden sie objektiv zu Feinden aller Opfer der imperialistischen Weltordnung. Ihr Prozionismus ist damit de facto lediglich eine Variante des 'Antisemitismus', der letztlich nur durch die Aufhebung der Klassengesellschaft auszurotten ist, deren Produkt er schließlich ist. In diesem Sinn tun sogar die beschränktesten 'Antiimperialisten' mehr für den Kampf gegen den 'Antisemitismus' als sämtliche Prozionisten, rechte wie 'linke'.
  9. Abschließend sei noch von einem der immer wiederkehrenden Argumente der Prozionisten die Rede, einem Argument, das -- auch wenn es wie hier einmal nicht verbalisiert wird, dem Denken -- oder besser: dem Fühlen -- dieser ganzen Strömung zu Grunde liegt. Die Rede ist von der Feststellung, dass der Holocaust bewiesen habe, dass sich für den Schutz der jüdischen Existenz die Alternativen der internationalen Arbeiterbewegung erledigt hätten. Diese Position ist eine emotional durchaus nachvollziehbare Position von Verlierern. Für das Gros der ehemaligen Anhänger der Stalinisten hat diese Haltung zu verschiedenen Zeiten dazu geführt, zum Sozialdemokratismus zu wechseln und die kapitalistische Gesellschaft als den Endpunkt der menschlichen Geschichte zu akzeptieren. Die Behauptung, die Niederlagen der revolutionären Arbeiterbewegung und damit der Beendigung des Antisemitismus verlangten die Anerkennung der bürgerlichen Lösung der 'jüdischen Frage', d.h. die Anerkennung der Ewigkeit des Antisemitismus und darauf folgernd der Notwendigkeit der Separation, kurz die zionistische Lösung, ist die fatalistische Position derer, die den Stalinismus und Sozialdemokratismus für die einzig denkbare Form der proletarischen Bewegung halten, oder die sogar den potentiell revolutionären Charakter der Arbeiterklasse und damit die Möglichkeit einer sozialistischen Gesellschaft überhaupt leugnen. Sie mögen in vieler Hinsicht 'Linke' bleiben, aber sie sind bürgerliche Linke, Linksliberale, Systemlinke.

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