Kosovo: national unterdrückt oder nicht?

von A. Holberg

Ein nicht unwesentlicher Teil der Bewegung gegen Jugoslawien-Krieg des Jahres 1999 hat die Tatsache verschwiegen oder geleugnet, daß die Instrumentalisierung bestimmter Fakten durch die imperialistische Propaganda noch nicht ausreicht, diese Fakten selbst aus der Welt zu schaffen, und zwar in der Annahme, seiner Sache sei am besten gedient, wenn man die Rechtfertigungspropaganda der imperialistischen Aggressoren einfach samt und sonders ignoriert oder gar zurückweist. So hat sie die Tatsache ignoriert, daß es neben aber auch in Verbindung mit dem geostrategischen Krieg des Imperialismus gegen Jugoslawien noch einen zweiten Kampf gab, nämlich den der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo gegen die Unterdrückung durch die ‘jugoslawische', de facto serbische, Armee und ihre irregulären nationalistischen Kommandos. Während der größte Teil der hier angesprochenen Kräfte der Friedens- bzw. Antikriegsbewegung -im allgemeinen jener mit stalinistischer Politisierung - sich in lang geübter Manier weigerte, O zu sagen, wo er zuvor A gesagt hatte, leugneten die konsequenteren Anhänger des seit dem Ausscheiden Kroatiens, Sloweniens und Bosniens aus dem jugoslawischen Staatsverband praktisch serbischen Nationalismus die Tatsache der nationalen Unterdrückung im Kosovo überhaupt. Da wir uns leider auf die ‘Linke' beziehen müssen, wie sie ist, und nicht wie sie sein sollte oder könnte, wollen wir versuchen, in Ergänzung zu den grundlegenden methodischen Artikeln zur Frage des nationalen Selbstbestimmungsrechtes in diesen ‘KOVI-Dokumenten' auch die Faktenlage zu klären. Das ist imvorliegenden Fall um so wichtiger für die Begründung unserer politischen Position, als auch unter jenen, die das nationale Selbstbestimmungsrecht nicht grundsätzlich zurückweisen, die Zahl derer nicht gering ist, denen die Berichte über die Verfolgung von Serben, Roma und andere Minderheiten durch albanische Chauvinisten im Kosovo Grund genug sind, den Widerstand gegen die Unterdrückung der Kosovo-Albaner zu entlegitimieren, insbesondere, nachdem dieser angesichts des ‘milden Regimes' der Vergangenheit ohnehin grundlos gewesen sei. Die Tatsache, daß es in den vergangenen Jahrzehnten bis auf die marginale Propaganda aus dem Albanien Enver Hoxha's weder die ‘Linke' noch die bürgerliche Propaganda für nötig erachtet hatte, mit einigem Nachdruck auf die Zustände im Kosovo hinzuweisen, hat dieser Haltung natürlich in die Hände gespielt.

Die historische Ausgangslage

Die wohl deutlichste Formulierung der Grundposition der serbischen Propaganda in dieser Frage finden wir in dem Satz des ‘Junge Welt'-Redakteurs W.Pirker: "Es gab und gibt keine nationale Unterdrückung der Albaner in Serbien." (Sozialistische Zeitung, Köln, 5/99, S.12). Um der Gerechtigkeit willen sei hinzugefügt, daß das in unmittelbarem Zusammenhang mit der NATO-Aggression gegen Jugoslawien/Serbien geschrieben wurde. In der Tat wußte W.Pirker noch am 28.10.1998 in der ‘Jungen Welt' u.a. zu berichten: "Natürlich gibt es auch eine Geschichte der nationalen Unterdrückung der Albaner durch die Südslawen" ['Jugoslawien' heißt ‘Land der Südslawen', A.H.]

Wir wollen im Folgenden nicht darstellen, welche im allgemeinen formal-juristischen und verfassungsmäßigen Rechte unterhalb des nationalen Selbstbestimmungsrechts, das heißt eben unterhalb des Rechtes auf vollständige Gleichheit mit den Serben oder den Montenegrinern, die dieses Recht zumindest seit ihrer Befreiung vom osmanischen und Habsburger Joch genießen, die Albaner des Kosovo haben, sondern in wieweit sie national unterdrückt wurden.

Für unsere Diskussion ist vor allem die Zeit seit der Eroberung des Kosovo im ersten Balkankrieg 1912 relevant. Das Kosovo, seit nunmehr 610 Jahren ohnehin in der nationalistischen Mythologie als ‘Wiege des Serbentums' verankert, blieb Serbien damals als Rest seiner ursprünglich auf die Mittelmeerküste zielenden Eroberung des ganzen albanischen Siedlungsraums erhalten, nachdem ihm das spätere Albanien durch die Intervention der interessierten Großmächte wieder verloren gegangen war.

Was die Albaner dieser ‘südserbischen Provinz' von ihren neuen Herren nach der Vertreibung der Osmanen zu erwarten hatten, hatte sich bereits mehr als drei Jahrzehnte zuvor angekündigt. So schreibt der Historiker K.Cleving, Redakteur der Zeitschrift ‘Südost-Forschungen', in einer der ‘Balkan-Krise' gewidmeten Beilage der Zeitung ‘Das Parlament' (6./13.8.99): "Als das noch junge Serbien im Krieg 1878 nordwestlich Kosovos gelegene osmanische Gebiete erwarb, bestand eine der ersten Maßnahmen in der systematischen Vertreibung der dort teils als Mehrheit, teils als Minderheit ansässigen Albaner. Die meisten von ihnen, Zehntausende, gelangen auf ihrer Flucht in das heutige Kosovo. Sie verstärkten dort die albanische Mehrheit. Zugleich führten die Erfahrungen und die Präsenz dieser allgegenwärtigen Opfer der Politik des serbischen Staates zu einer allgemeinen Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den Albanern und den Serben. Unter Druck wanderten nun viele von diesen ab." So kam es, daß unmittelbar vor dem ersten Balkankrieg die albanische Bevölkerung im nunmehr unter die Herrschaft Serbiens und teilweise Montenegros gelangten Kosovo rund 75% der Bevölkerung stellte. Der Autor schreibt weiter über die Zeit nach 1912: "Von den verbündeten serbischen und montenegrinischen Truppen wurden nun vermutlich 10.000-15.000 Albaner ermordet und einige Zehntausend in die Flucht getrieben. Staatlich gezielt geförderte albanische Abwanderung in die Türkei und ein breit angelegtes serbisches Ansiedlungsprogramm erhöhten bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg den ‘slawischen' Bevölkerungsanteil auf etwas über einem Drittel. Im Zweiten Weltkrieg wurden viele der serbischen Neuansiedler -- dagegen kaum Alteingesessene -- vertrieben, konnten aber großteils nach 1945 wiederkehren". In diesem Sinn schrieb auch der Führer des linken Flügels der ‘Sozialdemokratischen Partei Serbiens', Dimitrije Tucovic, 1914 in seinem Buch ‘Serbien und Albanien' über den Septemberaufstand von 1913: "Der natürliche Widerstand der albanischen Stämme wurde von der Regierung nicht nur nicht beachtet, sondern im Grunde sogar provoziert, da sie, nach Vorbild aller Eroberer, die albanische Siedlung zur menschlichen Ausgeburt deklarierte, der man nur mit bloßer Gewalt zu begegenen hätte... Sobald die Soldateska sich selbst überlassen war, deren politische Orientierung nicht ganz klar war, und mit der albanischen Bevölkerung in Berührung kam, richtete sie eine derartige Verheerung an, dass sie das albanische Volk in einen verzweifelten Kampf ums Überleben stürzte... Albanische Dörfer, aus denen die Menschen rechtzeitig geflohen waren, wurden Brandstätten. Sie waren aber auch barbarische Krematorien, in welchen Hunderte Frauen und Kinder verbrannten. Und solange die Aufständischen die serbischen gefangenen Offiziere und Soldaten entwaffneten und wieder freiließen, solange hatte die serbische Soldateska kein Mitleid mit ihren Kindern, Frauen und Kranken." (Tucovic, D. Serbien und Albanien. Wien 1999, S. 73, 75).

1948 lag so die Zahl Albaner bei 68% und deren weitere Entwicklung auf zwischen 80 rund 90% der Bevölkerung vor dem Krieg von 1999 wurde wesentlich durch ihre höhere Geburtenrate sowie die wesentlich ökonomisch bedingte Abwanderung von Serben in die industriell höher entwickelten Regionen Serbiens bestimmt.

Daß es den Kosovaren möglich war, während des 2. Weltkriegs ihrerseits wieder Tausende von Serben zu ermorden und zu vertreiben, war Ergebnis der Eroberung der Region durch das faschistische Italien und der Schaffung eines ‘Großalbaniens' unter dessen Kontrolle. Weniger aus Sympathien für irgendein faschistisches Programm als vielmehr als Resultat der erwähnten Umstände der Eroberung und der nachfolgenden Politik Serbiens und der sich von dieser zunächst positiv abhebenden Politik der italienischen und nach 1943 deutschen Besatzer, die es den Kosovo-Albanern z.B. erstmals ermöglichte, Schulunterricht in ihrer eigenen Sprache zu genießen, unterstützte die Mehrzahl der Bevölkerung -- darunter auch die nationalistische Organisation ‘Balli Kombetar' -- zumindest zeitweilig die Besatzung durch die Axenmächte.

Das Kosovo unter Tito

Um auch in Albanien und unter den Kosovo-Albanern eine militärische Front gegen die faschistische Besatzung aufzubauen, hatte die inzwischen unter die stalinistische Herrschaft Titos geratene KP Jugoslaviens einerseits dafür gesorgt, aus den verschiedenen kommunistischen Gruppen in Albanien eine einheitliche Partei zu machen und diese in die Lage zu versetzen, militärisch effektiv zu werden. Gleichzeitig hatte sie versucht, die Kosovaren durch die Anerkennung ihres Selbstbestimungsrechtes für sich zu gewinnen. Unmittelbar nach der Vertreibung der deutschen Besatzer aus Jugoslawien und also auch dem Kosovo wurde jedoch ein von albanischen Nationalisten -- auch solchen, die gegen die Wehrmacht gekämpft hatten -- und einem Teil der KP-Anhänger getragener Aufstand gegen den Verbleib des Kosovo bei Serbien Ende 1944 unterdrückt und die kosovarische Sektion der KPJ auf bürokratischen Weg ‘entalbanisiert'. Auf dieser Basis stimmte im Juli 1945 eine regionale ‘Versammlung' für die "freiwillige" Einheit des Kosovo mit der Republik Serbien im Rahmen der Jugoslawischen Föderation.

Das Tito-Regime, das im engeren Sinn nicht serbisch-nationalistisch, sondern jugoslawisch-nationalistisch und ansonsten eine blutige Diktatur nach Stalin'schen Muster war, versuchte einerseits, die Kosovo-Albaner durch die Eröffnung von Schulen und Kulturinstitutionen für sich zu gewinnen, wobei allerdings Serbisch die einzige offizielle Sprache blieb, unterwarf aber gleichzeitig angesichts des fragwürdigen Erfolges dieser Bemühungen die ‘südserbische' Provinz ganz besonders der Unterdrückung durch das Polizeiregime des gleichermaßen stalinistischen wie serbisch-nationalistischen Innenministers Aleksandar Rankovic.

Die Repression wurde zunächst durch die Tatsache der engen Zusammenarbeit Jugoslawiens mit Albanien gemildert, setzte aber vollein, nachdem der Bruch zwischen Tito und Stalin auch Enver Hoxha die Möglichkeit verschaffte, sich des übermächtigen ‘Verbündeten' unmittelbar an der Grenze zu Gunsten eines wenigstens geographisch entfernteren Verbündeten zuentledigen. Ende der 40er Jahre begann eine umfassende Repressionswelle im vom praktisch ausschließlich von Nicht-Albanern verwalteten Kosovo zunächst unter dem Deckmantel des Einsammelns illegaler Waffen. Die serbischen Polizei- und Armeeeinheiten, die bereits den Aufstand niedergeschlagen hatten, der unmittelbar nach Befreiung ausgebrochen war, als es offenkundig war, daß von einer Selbstbestimmung der Albaner im Kosovo keine Rede sein würde, führten diese Maßnahme gegen Personen, bei denen keine Waffen gefunden wurden, mit ebensolcher Schärfe durch, wie gegen solche, bei denen sie gefunden wurden.

Ziel war offensichtlich die Vertreibung einer größtmöglichen Zahl von Albanern. Die Tatsache, daß das benachbarte Albanien 1948 seine Grenzen zu Jugoslawien geschlossen hatte, ermöglichte keinen wirklichen Erfolg bei diesem Vorhaben. Allerdings führte die kulturelle und rechtliche Förderung der ursprünglich nur 1.315 ‘Türken' im Kosovo auf Grund eines Gesetzes von 1949 dazu, daß das Kosovo 1951 wundersamerweise bereits 34.583 ‘Türken' zählte. Gashi/Steiner schreiben: "Der sprunghafte Anstieg der türkischen Bevölkerung war letztlich dem Wüten der serbischen und mazedonischen [wo das gleiche Gesetz galt, A.H.] Polizei zu verdanken. Nachdem Belgrad seine alten Vorkriegsverträge mit der Türkei erneuert hatte, wonach Ankara sich bereit erklärte, allein Jugoslawien lebende Türken aufzunehmen, stellte die Polizei die Albaner vor die Wahl: Entweder sich weiterhin als Albaner zu bekennen und Schikanen ausgesetzt zu sein oder sich als Türke zu deklarieren und damit alle Rechte zuerhalten, einschließlich einer Ausreise in die Türkei. Der Druck der Polizei und die wirtschaftliche Benachteiligung bewog viele Albaner, diesen Weg zu wählen. Allein zwischen 1953 und 1960 mußten 283.000 ‘türkische' Albaner das Kosovo und Mazedonien in Richtung Türkei verlassen. Eine 1976 in Prishtina veröffentlichte Studie geht sogar davon aus, daß bis 1966 etwa 400.000 Albaner emigrierten bzw. deportiert wurden. Die halblauten Proteste der Kosovo-Kommunisten, der serbische Geheim dienst und das Innenministerium müßten aufhören, Hunderttausende Albaner zu zwingen, sich als Türken zu deklarieren, blieben ebenso wirkungslos wie halblaute Proteste aus Tirana. Erst die 4.ZK-Sitzung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens im Juni 1966 machten dem schrecklichen Treiben ein Ende." (Gashi, D., Steiner, I.: Albanien -- archaisch, orientalisch, europäisch. Wien 1994, S.216). Andere Quellen geben als Zahl derer, diezwischen 1945 und 66 in die Türkei emigriert sind, immerhin über 200.000 an (s. Robert Bideleux: Kosovo's Conflicts. in ‘History Today' Nov. 1998, p.31).

Der Grund für diese Richtungsänderung war Gashi/Steiner zufolge weniger eine veränderte Haltung zu den Rechten der Albaner im Kosovo, als vielmehr ein innenpolitischer Machtkampf zwischen einem konservativen Lager um Rankovic, der bei dieser Gelegenheit abgesetzt wurde, und einem auf verstärkte Westintegration setzenden Lager um Tito. In der jugoslawischen Verfassung von 1963 war das Kosovo im übrigen als ‘autonome Provinz' bezeichnet worden, dessen verfassungsrechtlicher Status jedoch vom serbischen Parlament zubestimmen sei.

Anders als im benachbarten Mazedonien, wo sich an der Unterdrückung der etwa ein Drittel der Bevölkerung stellenden Albaner kaum etwas änderte, verbesserte sich deren Lage im Kosovo von nun an spürbar. Prishtina erhielt eine Universität, Albanisch wurde gleichberechtigte Amtssprache und die Albaner erhielten deutlich größere politische und wirtschaftliche Selbstverwaltungsmöglichkeiten. Dieser Prozess wurde durch die jugoslawische Verfassung von 1974 gekrönt, in der dem Kosovo ebenso wie der Vojvodina mit ihrer ungarischen Minderheit zwar nicht formal aber faktisch weitgehend den Status einer gleichberechtigten Republik gewährt wurde.

Diese Verfassung war eine Antwort auf die wachsende wirtschaftliche und politische Krise, die sich in Jugoslawien wie in anderen Teilen der kapitalistischen Welt in der zweiten Hälfte der 60er Jahre entwickelthatte. Mit einem Höhepunkt 1968/69 war ab Mitte der 60er Jahre in Jugoslawien eine oppositionelle Studentenbewegung entstanden, die insbesondere die sozialen Forderungen der Arbeiterklasse und allgemeine Forderungen nach Demokratie aufgriff (s. Pavlovic, R: Von der Revolution zum Nationalismus. in: ‘Inprekorr'. Oktober 1998). Sie hatte im Kern einen sozialistischen Charakter und konnte deswegen vom vermeintlich selbst sozialistischen Regime nicht einfach ignoriert werden, sondern mußte durch Zugeständnisse und Repression niedergemacht werden. Diese Studentenbewegung -- und das hieß damals faktisch linke Opposition -- hatte nicht nur 1966 gegen den Willen des Regimes gegen den Vietnam-Krieg demonstriert und war dafür vor der US-Botschaft in Belgrad auseinandergeknüppelt worden, sie hatte sich beispielsweise auch in einem Hungerstreik mit den aufständischen bosnischen Bergarbeitern solidarisiert. "Daß Jugoslawien" -- schreibt R. Pavlovic -- "in der nationalistischen Barbarei untergehen konnte, daß Faschisten [Milosevics Regierungspartner Seselj, A.H.] Einzug halten konnten und die richtigen Sozialisten sich in ihre Löcher verkriechen mußten, ist zu einem großen Teil der titoistischen Repression der 70er Jahre zu verdanken, die die Linke zerschlagen und der Rechten das Terrain überlassen hat."

Für die Nomenklatura in den verschiedenen Republiken hatte die Antwort der Zentralregierung auf die Krise immerhin größere Bewegungsspielräume mit sich gebracht. Desgleichen hatten auch die Massenproteste, die am 27.11.1968 in Prishtina begonnen und sich bald auf andere Städte im Kosovo ausgedehnt hatten, nicht nur zu Haftstrafen für ihre Führer, sondern auch zu Konzessionen geführt. Ende 1969 wurde in Prishtina eine Universität eröffenet, in der neben Serbo-Kroatisch auch Albanisch gelehrt wurde und die meisten Ämter wurden nunmehr mit Albanern besetzt.

Alle diese Maßnahmen, die die Funktion hatten, das interne Gleichgewicht zwischen den Nomenklaturen der einzelnen Teilrepubliken im Interesse der Macherhaltung Titos und seiner Fraktion auszugleichen bzw. diese gegeneinander auszuspielen, mußten notwendigerweise auf Kosten des schon immer hegemonialen Serbiens gehen und wurden von den serbischen Nationalisten aller Schattierungen auch so verstanden.

Das Kosovo nach Tito

Der Tod Titos am 4.5.1980 war deshalb eine der Voraussetzungen für diese, den völligen ökonomischen Zusammenbruch des von Auslands krediten abhängigen ‘Selbstverwaltungssoziaslismus' des jugoslawischen Staatskapitalismus zu nutzen, um -- teilweise unter dem Mantel des ‘Jugoslawismus' und teilweise auch völlig ungeschminkt -- der alten serbischen Pracht und Herrlichkeit wieder zum Durchbruch zu verhelfen.

Die erste Reaktion auf entsprechende Stimmen aus Belgrad aber darüber hinaus auch auf als unerträglich erfundene soziale Gegebenheiten -- so die Tatsache der unverhältnismäßig hohen Arbeitslosigkeit und des wachsenden Entwicklungsabstandes zwischen dem Kosovo und den übrigen Teilen Jugoslawiens -- fand im Frühjahr 1981 abermals in Prishtina statt. Ende März und Anfang April kam es zunächst zu Protestaktionen albanischer Studenten zunächst gegen schlechtes Essen und schlechte Wohnheime und sodann mit albanisch-nationalistischen Forderungen. Das brutale Eingreifen von aus Belgrad geschickten Polizisten eskalierte die Situation. Den Protesten, auf denen nunmehr eine gleichberechtigte Republik Kosovo innerhalb Jugoslaviens gefordert wurde, schlossen sich weitere Teile der albanischen Bevölkerung an. Die größten Demonstrationen in Jugoslawien nach Ende des Krieges wurden von Polizei und mit Panzern gewaltsam zerschlagen. Die Repression forderte nach offiziellen Angaben 11 Todesopfer, nach albanischen über 200. Darüber hinaus fanden Massenverhaftungen statt und Prozesse, die zu langjährigen Haftstrafen führten.

Serbischerseits setzte eine Medienkampagne über das Thema der angeblichen albanischen Übergriffe gegen die Serben im Kosovo ein. Dabei feierten ähnliche rassistischen ‘Argumente', die bereits aus der Zeit des ersten Balkankrieges geläufig und von D. Tucovic so empört zurückgewiesen worden waren, Wiederauferstehung, u.a. das von den Albanern als Vergewaltiger züchtiger serbischer Frauen, während in Wahrheit die Zahl der Vergewaltigungen im Kosovo im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil deutlich niedriger liegt als in den anderen Teilen Jugoslawiens. An der Spitze standen die Albaner allerdings als politische Gefangene, von denen sie bei einem Anteil von 10% der Gesamtbevölkerung 42% stellten. Zwischen 1981 und 1990 machte etwa ein Drittel der albanischen Bevölkerung des Kosovo aus politischen Gründen Bekanntschaft mit jugoslawischen Gefängnissen.

Die Zahl der Serben im Kosovo hatte sich seit 1966 zwar in der Tat um rund 50.000 verringert, aber weniger als Ergebnis albanischen Drucks, sondern vielmehr aus wirtschaftlichen Gründen, wie eine unabhängige Komission Belgrader Juristen 1990 feststellte. Die Aufhebung der Privilegien für serbische Kolonisten im Kosovo, die im Zuge der Mitte der 60er Jahre eingeschlagenen Richtung stattgefunden hatte, hatten deren Lebenssituation nämlich der der albanischen Kosovaren angeglichen. Verständlicherweise wollten sie dem entgehen. Mit dem Zusammenbruch der jugoslawischen Wirtschaft jedoch wurde es immer schwerer, dem durch Emigration in andere Teile Jugoslawiens auszuweichen.

Nachdem es Ende der 80er Jahre zu Massenprotesten der jugoslawischen Arbeiterklasse über alle nationalen Grenzen hinweg gekommen war, wurde es für die Restbestände des titoistischen Regimes -- in Serbien mit seinem Präsidenten Milosevic an der Spitze -- immer wichtiger, die sich aus dieser Konkurenzsituation nährenden nationalen Widersprüche zu instrumentalisieren. Einen Zwischenhöhepunkt erlangte diese Kampagne mit dem ‘Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften' vom September 1986, in dem bezüglich der Autonomiestatute für das Kosovo und die Vojvodina von 1974 festgestellt wurde, daß diese die serbische Staatlichkeit empfindlich einschränkten und das serbische Volk gegenüber den anderen Völkern Jugoslawiens benachteiligte, "zumal ihm das Recht auf einen eigenen Staat verweigert worden sei. Große Teile des serbischen Volkes müßten in Kroatien und Bosnien leben, wo ihnen die Assimilierung drohe, die serbische Minderheit im Kosovo sei sogar dem Genozid ausgesetzt." (Gashi/Steiner S.221).

1989 kommt es im Februar und im November abermals zu Massendemonstrationen gegen die serbische Politik gegenüber dem Kosovo. Am 28.3. hebt das serbische Parlament die Autonomie für das Kosovo und die Vojvodina auf. Nachfolgende Protestdemonstrationen im Kosovo werden blutig niedergeschlagen. Am 28.Juni schließlich folgt der symbolische Höhepunkt.

Der 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje), bei dem das unter serbischer Führung stehende christliche Heer von den Osmanen aufgerieben wurde, bot die Gelegenheit die nationalen Widersprüche zur Ablenkung von den sozialen zu instrumentalisieren. Der ‘Sozialist' Milosevic trat hier vor rund einer Million Serben am 28.6.1989 zu einem Schauspiel serbischen Nationalismus mit deutlich antialbanischen Tönen an der Seite von Tschetniks (ursprünglich königstreue serbische Freischärler) und orthodoxen Popen auf. W. Pirker kam, bevor er nur noch albanische Ethnoterroristen sah, zu folgender vorsichtiger aber nicht ganz unrealistischer Einschätzung: "Mit seiner vorgeblichen ‘antibürokratischen Revolution' berieb Milosevic eine bedenkenlose Ethnisierung sozialer Konflikte. Sein Versuch, das 600-Jahresjubiläum der Schlacht auf dem Amselfeld als Revanche für die historische Niederlage der Serben zu zelebrieren und den Albanern den Kampf anzusagen, machte das Amselfeld zum zweiten Mal zum Schauplatz einer südslawischen Katastrophe." (jW 28.10.98).

1990 übernahm Serbien dann im April die Polizeigewalt im Kosovo und ersetzte im Juni alle Behörden durch serbische. Über die Entwicklung in den darauffolgenden Jahren schreibt die Wochenzeitung der eurokommunistischen ‘Partei der Arbeit der Schweiz' (PdAS) bezugnehmend auf einen Bericht von Jean-Claude Lüthi, der im Auftrage der ‘International Federation of Human Rights' das Kosovo im Oktober 1994 besucht hatte: "1987 beginnt Serbien mit einer Politik der 'Rückgewinnung' in Kosovo, von dem aus grosserbischer Sicht weite Gebiete als serbische Territorien beansprucht werden. 1990 erklärt sich das Parlament von Kosovo zum Parlament der ‘Republik Kosovo'. Drei Tage später erklärt das serbische Parlament die Auflösung des Kosovo-Parlaments, schließt Fernsehstationen, Schulen und Universitäten, entläßt albanische Mediziner, Wissenschaftler und Kader, später immer mehr auch Arbeiter, die sich an Protestdemonstrationen oder an gewerkschaftlichen Aktionen betätigt haben... 1991 führt ein Referendum unter den Kosovo-Albanern zum Ausdruck des Wunsches nach einem unabhängigen Staat. 1992 werden Parlament und Regierung gewählt, das Parlament wird von den serbischen Autoritäten durch Polizeigewalt aufgelöst. Die serbische Seite betreibt seither systematisch die Zerstörung von Infrastruktur und beruflicher Qualifikation der Albaner. Minenarbeiter, die wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten verurteilt wurden, müssen in die Minen zurück und leisten dort Zwangsarbeit. Seither versuchen die Kosovo-Albaner parallele Strukturen aufzubauen... In Kosovo kann man wegen der Beteiligung an einer gewerkschaftlichen Demonstration oder an einem Streik, wegen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit parallelen Aktivitäten oder dem Unterricht der albanischen Sprache, wegen Devisenbesitz oder einem abgelaufenen Militärbüchlein verhaftet werden... Einschüchterungsversuche gehen von physischer Gewalt über die Beschlagnahmung vom zum Überleben notwendiger Güter der Hilfsorganisationen bis zum Vertreiben aus dem Haus, bzw. zur Aufforderung, das Land zu verlassen... Etwa 400.000 Menschen flüchteten letztes Jahr vor dieser beginnenden Diktatur, rund 480.000 werden es 1994 sein." (‘Vorwärts' 16.12.94).

Am 20.11.1998 veröffentlichte die Belgrader Regierung einen ‘Vorschlag für ein Abkommen über die politischen Rahmenbedingungen der Selbstverwaltung für Kosovo und Metohien' [Metohien, Name eines mittelalterlichen serbischen Kirchenstaates, ist die serbische Bezeichnung für den nördlichen Teil des Kosovo, in dem sich eine Vielzahl serbisch-orthodoxer Klöster befinden, A.H.]. Dem ging der Übergang albanischen Nationalisten zum bewaffneten Kampf voraus, vorallem aber die Drohung der NATO -- vermeintlich zum Schutz der Menschenrechte der Albaner -- militärisch zu intervenieren. Der Vorschlag enthält unterhalb des Selbstbestimmungsrechtes fast alle Bestimmungen einer Autonomie in einem multinationalen Rahmen.

Aber auch die Anhänger multiethnischer Staaten, zu denen natürlich auch wir gehören, sollten sich nicht wundern, wenn die Kosovo-Albaner nach den Erfahrungen der bestenfalls insgesamt 10 Jahre lang unterbrochenen massiven Unterdrückung durch den serbischen Nationalismusmus und das -- um es vorsichtig zu formulieren -- Ausbleiben praktisch jeglicher Solidarität vor allem seitens der Serben im Kosovo kein Bedürfnis hatten, darauf einzugehen.

Daß sie statt die Freiheit von der serbischen Unterdrückung durch ihre Einordnung in ein imperialistisches Protektorat ersetzt haben, ist eines der tragischsten Ergebnisse des serbischen Nationalismus. Auf diese Gefahr hatte vor 76 Jahren bereits der schon erwähnte serbische Revolutionär D. Tucovic hingewiesen: "Grenzenlose Feindschaft des albanischen Volkes Serbien gegenüber ist das erste wirkliche Resultat der Albanienpolitik der serbischen Regierung. Das zweite noch gefährlichere Resultat ist die Stärkung zweier Großmächte in Albanien, die am Balkan die größten Interessen haben." (Tucoviv, a.O., S.80). Welchen Charakter das NATO-Protektorat heute hat, geht schlagartig daraus hervor, was der serbische Journalist Dragomir Olujic gegenüber dem ‘Vorwärts' (29.10.99) in Hinblick auf die Situation der albanischen Bergleute der Trepca-Minen sagte: "Wie die Dinge jetzt stehen, ist die Okkupation des Kosovo durch die serbische Armee durch eine andere Form der Okkupation ersetzt worden, durch die internationale Besetzung. Um das mal auf eine praktische Weise zu beschreiben: Die Fabriken im Kosovo sind den albanischen Arbeitern zweimal weggenommen worden. Zuerst durch die serbische Staatsmacht Anfang der 90er Jahre, als das Autonomiestatut aufgehoben wurde und die bis dahin selbstverwalteten Betriebe durch serbische Unternehmensleitungen übernommen wurden. Und anschließend zum zweiten Mal durch die Privatisierung der Betriebe, die danach von Milosevic und seiner Clique betrieben wurde. KFOR und Unmik sind jetzt gerade damit beschäftigt, die albanischen Arbeiter wieder in ihren Betrieben arbeiten zu lassen, aber sie geben ihnen die Betriebe nicht zurück, sie bleiben privatisiert. Das heißt, sie erkennen die Tatsachen an, die das serbische Regime geschaffen hat. Deshalb haben die Bergarbeiter in Trepca bereits mehrfach gegen die KFOR und Unmik demonstriert. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die USA und der IWF, hält die albanische Bewegung unter Kontrolle... Die einzige Kraft, die nicht ohne weiteres unter der Kontrlle der internationalen Organisationen steht, sind die albanischen Gewerkschaften. Nach meiner Einschätzung wird die internationale Gemeinschaft weiter daran arbeiten, die Bewegung der albanischen Gewerkschaften zu zerstören, um sie ganz aus der Öffentlichkeit zu beseitigen. Ich denke allerdings, daß sich auch andere politische Sektoren darauf besinnen, eine wirkliche Unabhängigkeit zu fordern. Wenn dies geschieht, wird die KFOR/Unmik aber wahrscheinlich auf den serbischen Vorschlag der ethnischen Parzellierung des Kosovo eingehen. Dann werden wir ein zweites Dayton erleben, also de facto eine Aufteilung des Kosovo nach ethnischen Kriterien."

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